Für den Augenblick war es der stumme Sommer

Torsten Behncke Donnerstag, 4. April 2019 von Torsten Behncke

Geschichte & Natur

Für den Augenblick war es der stumme Sommer

Neben der alles erschlagenden Hitze des Sommers 2018 war es auch der Mangel an Feldvögeln, der in Erinnerung bleibt. Bestenfalls, weil wir uns nicht sicher sein können, dass dies nicht das Finale des von Rachel Carsons 1962 prognostizierten stummen Frühlings ist.

In seinem Buch wird in einer fiktiven Kleinstadt und ihrer Umgebung durch den Pestizideinsatz die vormals reiche Naturaustattung ausgelöscht und zum Ende erkranken die Einwohner.

Als Einstieg wählen wir das Grünland. Nun, wo so viele Kiebitze im Frühjahrszug nicht nur am Himmel, sondern durchaus auch revieranzeigend auf den Feldern und Wiesen zu beobachten sind, ist es angezeigt auf die strukturelle und nicht die ausschließlich individuelle Verantwortung der Landwirtschaft am Verschwinden der Wiesenvögel hinzuweisen. Exemplarisch mag dafür der Kiebitz und sein Rückgang stehen. Denn so attraktiv er für Beutegreifer auch sein mag, sie tragen die Verantwortung nicht. Dafür sprechen die mit bis zu 25 Jahren sehr hohe Lebenserwartung und die Generationsfolge von fünf Jahren.

Bis in die 70er Jahre des 19ten Jahrhunderts war der Kiebitz ein regelmäßiger Brutvogel der mecklenburgischen Grünländereien und Feuchtgebiete. Dabei werden seine Lebensbedingungen im Wesentlichen durch die Art und Intensität der Nutzung bestimmt. Dies lässt sich durch Wasserführung, Düngung und Schnittregime, also Zeitpunkt und Häufigkeit der Schnitte, aber auch die Viehdichte definieren. Dabei wird generell zwischen Wiesen und Weiden unterschieden. Letztere spielen in der Mutterkuhhaltung, Weidemast und in den Milchviehbetrieben bei der Jungrinderaufzucht eine Rolle. Dabei können dann auch die Kriterien der extensiven Bewirtschaftung erfüllt werden. Auf solchen Flächen finden sich je nach Ausstattung neben Feldhasen auch die verschiedensten Grünlandbrüter wie Kiebitz, Bekassine, Flußregenpfeifer, Wiesenpieper, Grauammer, Braunkehlchen und Schafstelze ihr Lebens- und Reproduktionsmöglichkeiten. Aber auch für viele andere Arten wie Weißstorch, Schleiereule und Turmfalke geben sie hervorragende Nahrungshabitate ab.

Grünland, insbesondere Intensivgrünland mit den produktiven Vorgaben der Bereitstellung von proteinreichem (nicht höher als 20 cm geschnittenem) Grundfutter fällt als Reproduktionsfläche im normalen betrieblichen Ablauf aus. Denn nur bei Kenntnis der Neststandorte, dem Willen des Bewirtschafters und seiner Akzeptanz von entsprechenden Verlusten oder deren Kompensation durch die staatlichen Stellen, kann es hier zu erfolgreichen Bruten kommen. Dabei kann der „relativ tolerante“ Wiesenvogel Kiebitz noch auf „relativ“ intensiv bewirtschafteten Flächen siedeln. Bei all seiner hohen Anpassungsfähigkeit wie früherem Brutbeginn und zahlreichen Nachgelegen trifft er im intensiven Wirtschaftsgrünland auf seine Grenzen.

Die Krux lässt sich an den Worten „relativ“ und „tolerant“ erahnen. Galten noch bis in die 1990er Jahre drei bis vier Schnitte als intensiv, so sind es heute bis zu sieben!. Das Problem sind die schwindenden Zeitfenster für einen erfolgreichen Brutverlauf. Denn der durchschnittliche Brutbeginn liegt zwischen Anfang März und Anfang April und die durchschnittliche Brutdauer beträgt 27 Tage.


Die häufig auf Niedermoor oder zumindest anmoorigen Standorten befindlichen Wiesen leiden über den Winter unter dem Auffrieren und riesigen Maulwurfshaufen. Dem muss durch zeitiges Schleppen und Walzen zum Andrücken der Grasnarbe im Frühjahr begegnet werden. Dies erfolgt, wenn die Befahrbarkeit gewährleistet ist und fällt damit in den Zeitpunkt des Erstgeleges. Sollte der Brutbeginn nach dieser Maßnahme liegen, was selten passieren dürfte, und die Vegetation wächst nicht zu schnell, kann die Brut erfolgreich sein. In aller Regel läuft es aber anders ab und das Gelege wird beim Schleppen und Walzen zerstört oder bei der ersten Mahd ausgemäht. Dann weichen die Vögel mit dem Zweitgeleg in die Sommerungen und hier insbesondere den Mais aus. Denn das Gras auf dem intensiven Grünland wächst in der Hauptvegetationsphase mit 3 bis 8 mm pro Tag viel zu schnell für den Bruthabitatsanspruch des Kiebitzes. Allerdings bieten die frisch geschnittenen und durchschnittlich am nächsten Tag geräumten Flächen mit den vielen toten Tieren kurzzeitige Nahrungsflächen für Kiebitze, Störche, Reiher, Greifvögel und Eulen. Die Altvögel weichen nach der Maissaat auf „vegetationslosen“ Flächen und werden im Brutverlauf durch das rasante Wachstum der Maispflanzen, die dann schon 30 bis 45 cm hoch sind, überrascht. Die geschlüpften flugunfähigen Jungvögel finden sich teilweise mehrere hundert Meter durch ein Maislabyrinth von Futter- und Wasserversorgung abgeschnitten.

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